"Inneres Auge"

Jeder Mensch sieht eine Sache ein wenig anders. Dies liegt nicht, oder nur bedingt daran, dass unsere Augen biologisch unterschiedlich sind, sondern an unserem Gehirn. Wenn man etwas sieht, wird das Gesehene im Gehirn verarbeitet und dort zugeordnet. Diese Verarbeitung verläuft je nach Person, Kulturkreis oder Alter ganz unterschiedlich ab. Bei der Zuordnung des Gesehenen werden immer Erfahrungen, Gefühle und Wissen miteinbezogen. Wenn nun also zwei Personen optisch das Gleiche sehen, nehmen sie es doch anders auf. Bei Vorurteilen spielt genau dieser Prozess eine grosse Rolle. Eine traurige aber wahre Tatsache dazu ist, dass in den USA viel öfter Schwarze erschossen werden als Weisse. Wenn ein Polizist einen Farbigen festnehmen will, und dieser eine verdächtige Handbewegung zu seiner Innentasche macht, sieht der Polizist dort eine Waffe und erschiesst den Schwarzen. Macht nun aber ein Weisser dieselbe Bewegung, denkt der Polizist nicht sofort an eine Waffe, sondern an einen anderen Gegenstand. Diese Art von Denken nennt man Top-Down-Prozess (von oben nach unten). Unser Gehirn hat sozusagen schon Kategorien angelegt, in welche die Sinneseindrücke später eingeordnet werden. Im Nachfolgenden werde ich dieses kategoriale Denken als „inneres Auge“ bezeichnen.

 

Ich will mit meinem Bild zeigen, dass es nicht nur ein biologisches, sondern auch ein psychologisches „inneres Auge“ gibt. Ich nenne es so, weil man es von aussen nicht sehen kann. Das Model hat die biologischen Augen geschlossen, welche unser wichtigstes Instrument sind, um uns in der Welt zurechtzufinden. Trotzdem können auch sie uns täuschen und von unserem „inneren Auge“ beeinflusst werden. Mit der überdimensionalen Darstellung will ich zeigen, wie wichtig dieses in unserer Wahrnehmung wirklich ist. Man projiziert seine Meinung, Gefühle, Erlebnisse auf die Person oder Situation vor einem. Dieser Prozess geschieht meist unbewusst.

 

 „Sagen wir also ruhig: Es ist das Wahrgenommene stets mehr als das physiologisch-optisch-mechanisch Empfundene, und zwar deshalb, weil wir als Sehende stets uns auch zugleich in die Welt mit hineinsehen!“

Eduard Grünewald in „Die personale Projektion“